Blick in die Zukunft des Handwerks

Handwerkerforum in Dülmen

23.08.2022

Dülmen. Fachkräftemangel, Lieferengpässe und Energie-Krise – die Gegenwart im Handwerk ist ernüchternd. Vielleicht blickte die Kreishandwerkerschaft beim diesjährigen Handwerkerforum lieber in die Zukunft. „Leben und Arbeiten in der Zukunft –  Geschäftsmodelle für morgen“ hieß das Motto in den Handwerks-Bildungsstätten in Dülmen. Wie sehr die Zukunft von unseren Erwartungen abweiche, zeige schon die Gegenwart, betonte VR-Bank-Vorstand Matthias Entrup. „Vieles im Jahr 2022 hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Die Unsicherheit wachse und „die ökonomischen Folgen der Krisen werden für uns alle spürbar“, so Entrup. Doch wie geht es weiter? Diese Frage sollte der Gastredner und Zukunftsforscher Michael Carl beantworten.

„Die 20er-Jahre werden das Jahrzehnt der Krisen“, hatte dieser zunächst wenig Erbauliches zu verkünden. Gerade deshalb müsse man sich aktiv mit der Zukunft auseinandersetzen. „Wir müssen über die Zukunft sprechen“, so Carl. Die Vorstellung davon sei meist zu stark von der Gegenwart und Kontinuität geprägt. Die disruptiven Technologien wie die Erfindung des iPhones etwa würden dagegen oft unterschätzt. So hätten Vertreter der deutschen Autoindustrie über den ersten Tesla gelacht. „Heute lacht keiner mehr“, so der Gastredner. „Wir sind geübt darin, Dinge besser zu machen.“ Was dabei auf der Strecke bleibe: Sie vollkommen neu zu denken.

Manche seiner Prognosen klingen wie Science Fiction. So werde es 2030 Lebensmittel geben, die individuell auf den genetischen Code des Konsumenten abgestimmt seien. „Damit heben wir die Grenze zwischen Nahrung und Medizin auf.“ Andernorts werde bereits an Organen aus dem 3D-Drucker oder der Übertragung von Hirn-Daten auf einen Computer gearbeitet. Mit Datenverarbeitung in Echtzeit würden auch adaptive Produkte möglich. „Das heißt: Sie werden nie wieder ein Standard-Produkt verkaufen, das ist vorbei.“ Genauso überholt seien Begriffe wie das „Internet der Dinge“. Denn online sei der Normalzustand, sonst sei das Gerät kaputt. Digitale Assistenten würden unseren Alltag managen, von der Mobilität bis zur Urlaubsplanung. Unternehmen, die sich dem verweigerten, seien dann praktisch unsichtbar.

Handwerkerforum der Kreishandwerkerschaft Coesfeld mit der VR-Bank Westmünsterland
Ulrich Müller (Hauptgeschäftsführer Kreishandwerkerschaft Coesfeld, r.) und Matthias Entrup (Vorstand VR-Bank Westmünsterland, l.) diskutierten mit Gastredner Michael Carl beim Handwerkerforum in Dülmen.

„Aber wer soll’s denn machen?“ bleibe die große Frage. Die demographische Krise als Ursache des Fachkräftemangels sei nicht umkehrbar. Damit werde sich die Macht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschieben, so weit, dass man auch deren Bezeichnung vertauschen müsse. Manche Berufe werde es in zehn Jahren nicht mehr geben, andere gebe es jetzt noch nicht, aber in 20 Jahren schon nicht mehr. Entsprechend flexibel müssten sich Erwerbsbiographien entwickeln. „Wir werden 50-jährige Azubis sehen.“ Umso mehr müssten sich auch die Betriebe wandeln. Als Beispiele nannte er einen österreichischen Industriebetrieb, der komplett von den Mitarbeitern geführt wird. „Glauben Sie, die haben Personalprobleme?“

Und dann erst die Klima-Krise. Wenn die bevölkerungsreichsten Länder der Erde unbewohnbar würden, gebe es keine Wahl mehr. „Entweder gewinnen wir das zusammen – oder halt nicht.“ Woher da noch Optimismus nehmen? „Wir brauchen den 10-Prozent-Optimismus einen Herzchirurgen“, so Carl. Denn der gebe bei 10 Prozent Erfolgswahrscheinlichkeit ja auch nicht auf. Und am Ende habe jeder die Chance, die Zukunft aktiv mitzugestalten. 

Quelle: AZ Coesfeld, Falko Bastos